Hirnströme und Hirnaktivität

Der Neurotransmitter Dopamin wird im Grosshirn von Projektionsneuronen abgesondert, die ihren Ursprung  im Hirnstamm haben. Wenn diese Nervenzellen erregt sind, generieren sie schwache Stromimpulse, so genannte Aktionspotenziale, die  entlang der Nervenfasern fortgeleitet werden  und in den Nervenenden in den Basalganglien  den Überträgerstoff freisetzen. Die Dopamin  absondernden Neurone erleichtern die willkürlichen Muskelbewegungen, indem sie die  hemmende Wirkung der Basalganglien auf  die motorischen Impulse der Grosshirnrinde  aufheben. Bei den unter Dopaminmangel leidenden Parkinson-Kranken bleibt diese Wirkung jedoch aus. Dies brachte Neurochirurgen auf die Idee, bei Parkinson-Kranken einen Teil der Basalganglien operativ zu  entfernen. Tatsächlich erreicht aber heute ein  Erkrankter auch oftmals ohne diese Operation eine Besserung seiner Beschwerden – dank  eines implantierten „Schrittmachers“, der, im  Prinzip genau wie ein Herzschrittmacher, permanent elektrische Stromimpulse generiert  und die Wirkung der Dopamin freisetzenden  Neurone funktionell imitiert. Damit könnte  der Kranke auch auf das Medikament L-Dopa – mit seinen oft unangenehmen Nebenwirkungen (z.B. Bewegungsstörungen wie bei der Chorea-Huntington-Krankheit) – verzichten.  

Dopaminmangel in ganz bestimmten  Hirnregionen verursacht aber nicht nur die  Symptome der Parkinson-Erkrankung, sondern offensichtlich auch Unlustgefühle, ja  sogar Depressionen. Wie so oft in der Wissenschaftsgeschichte geht diese Erkenntnis  letztlich auf eine ganz zufällige Entdeckung  zurück. Peter Milner und sein Post-Doktorand James Olds wollten die  Wirkung einer elektrischen Reizung des Mittelhirns auf das Lernverhalten der Ratte untersuchen. Als aber bei einem Experiment eine  der Reizelektroden das angepeilte Ziel verfehlte und – wie sich später herausstellte – im so  genannten Septum, einem nahe dem Hypothalamus und dem limbischen System gelegenen Hirnbezirk, „landete“, verhielt sich das  Tier ganz merkwürdig. Wie sich Olds später erinnerte, hatte er die Ratte immer dann gereizt, wenn sie sich zufällig in einer bestimmten Ecke des Käfigs befand. Diese Reizung sei für das Tier aber offenbar nicht unangenehm gewesen; im Gegenteil, es habe später  immer wieder diese Ecke des Käfigs aufgesucht. Schon nach der dritten Reizung sei ihm, Olds, dann klargeworden, dass die Ratte zweifellos noch mehr Stimulation wollte und offenbar schnell lernte, wo ihr Angenehmes widerfuhr. Hatten also Olds und Milner mit ihren Experimenten – wie sie meinten –  zufällig ein Zentrum der Lust und Freude entdeckt oder, anders gesagt, ein zerebrales Motivations- und Belohnungssystem? Jedenfalls  waren die Wissenschaftler verblüfft, dass die Ratte alles daran setzte, die Stimulation aufrechtzuerhalten, später übrigens auch in Experimenten, in denen sich das Versuchstier –  durch Drücken eines Hebels – selbst elektrisch  stimulieren konnte. Die Ratte wurde geradezu reizsüchtig, denn der Reiz wirkte auf sie wie  eine überaus stark motivierende Belohnung,  wie eine Droge. Infolgedessen drückte sie wieder und wieder auf den Schalter des Reizgerätes, und zwar umso öfter, je stärker der applizierte – belohnende – Stromimpuls war.  

Warum aber die elektrische Reizung bei  den Versuchstieren eine Art Glücksgefühl  hervorrief, blieb zunächst eine offene Frage.  Erst Jahre später fanden Zarevics und Setler die Antwort, als sie entdeckten, dass die  Frequenz des Hebeldrückens nicht nur von  der Intensität des Reizstromes abhing, sondern auch durch Pharmaka beeinflusst werden konnte, insbesondere durch solche, welche die zellulären Angriffspunkte von Dopamin blockierten. Beispielsweise reduzierte  das Pharmakon Chlorpromazin die Reizfrequenz der Selbststimulation – warum war das  so? Senkte dieser bekannte Dopaminblocker  etwa die Motivation zum Hebeldrücken, weil  er das durch intrakranielle elektrische Reizung hervorgerufene – und offenbar durch  Dopamin vermittelte – Lustgefühl hemmte?  Bewirkt also Dopaminmangel an bestimmten  Stellen des Gehirns (im N. accumbens) Demotivation und Unlust? Genau dies vermuteten Zarevics und Setler, als sie die  motivations- bzw. lustfördernde Wirkung von  Dopamin postulierten.  

Wie dem auch sei, die beschriebenen Experimente machten ganz offenkundig, wie sehr  unsere Motivationen und Befindlichkeiten  von der (elektrischen) Aktivität gewisser Neuronenpopulationen des Gehirns abhängen  können. Wenn man beispielsweise eine süsse  Nachspeise geniesst, wird die den Genuss begleitende Empfindung („süss“) vor allem von  der Anzahl der Aktionspotenziale bestimmt,  die in jeder Sekunde von den Chemosensoren  in den Geschmacksknospen der Zunge über  afferente Fasern eines Hirnnerven zu gewissen  sensorischen Hirnarealen fortgeleitet werden.  

Die Erkenntnis eines prinzipiellen Zusammenhanges von Hirnströmen (d.h. elektrophysiologisch erfassbarer Hirnaktivität), Verhalten, Gefühlen und Befindlichkeit gehört  heute zum Allgemeinwissen. Wir verdanken sie nicht zuletzt der vom Psychiater Hans  Berger entwickelten Methode  der Elektroenzephalographie (EEG), mit welcher die Hirnströme und die von ihnen an der  Schädeloberfläche verursachten elektrischen  Potenzialschwankungen aufgezeichnet werden können. Beim ruhigen, völlig entspannten gesunden Erwachsenen lassen sich bei  geschlossenen Augen oberhalb der Hirnrinde  von der gesamten Kopfhaut regelmässige Potenzialwellen mit einer Amplitude von meist  weniger als ein zehntausendstel Volt und einer Frequenz von etwa 8 –13 pro Sekunde ableiten. Man bezeichnet diese Schwankungen  als a-Wellen. Bei gespannter Aufmerksamkeit  oder mentalem Stress – hervorgerufen durch  schnelles Kopfrechnen beispielsweise –, aber  auch beim Öffnen der Augen verändert sich  jedoch das Bild des EEG dramatisch; jetzt werden die Hirnstromwellen kleiner und unregelmässiger, ihre Frequenz steigt und erreicht  schließlich Werte von über 20 –30 pro Sekunde. Man spricht dann von b-Wellen.  

Mithilfe des EEG liesse sich also im Prinzip sehr wohl überprüfen, ob man tatsächlich  entspannt und gelassen ist. Der Psychologe Joe Kamiya machte sich dies zunutze und kam auf  die Idee, angespannte, gestresste Menschen  dahingehend zu trainieren, den a-Rhythmus  selbst „willentlich“ herbeizuführen, indem sie  versuchten, sich zu entspannen und an nichts  mehr zu denken. Immer wenn dies gelang, gab das EEG-Gerät den Probanden mittels eines Summtons ein „Feedback“, sodass  sie schnell lernten, bei sich selbst den vom  a-Rhythmus dominierten Gehirnzustand zu  erkennen und möglichst lange beizubehalten. Schon nach etwa 10–15 Anwendungen  dieser Biofeedbackmethode – so wurde das  neue Verhaltenstraining genannt – waren die  gestressten Probanden imstande, sich aus eigener Kraft mental regelrecht zu entspannen  und so die schnellen b-Wellen in langsame  a-Wellen umzuwandeln. Noch langsamer als  im a-Zustand werden die Hirnstromwellen  nur im Tiefschlaf und vermutlich in einem  besonderen Bewusstseinszustand, den man  Trance nennt.  

Wie verhält es sich nun mit der Beziehung  zwischen einem „Willensimpuls“ und den bioelektrischen Vorgängen im Gehirn? Schon  kurz vor einem Willensakt, einer willkürlichen Bewegung unserer Hand beispielsweise, kommt es zu einer mit EEG-Methoden  erkennbaren Erregung der Hirnrinde, dem  so genannten Bereitschaftspotenzial (Kornhuber u. Deecke). Es handelt sich um  eine elektrische Potenzialschwankung, die  auf der Kopfhaut über dem Stirnhirn registriert werden kann. Sie beginnt bereits eine  Sekunde vor der Erregung des eigentlichen  motorischen Zentrums, welches – via Rückenmark – die Muskeln aktiviert. Das ist nicht  überraschend; erstaunlich ist jedoch der Befund, dass der Zeitpunkt des Bewusstwerdens  des Willensaktes erst etwa eine halbe Sekunde nach dem Beginn des Bereitschaftspotenzials eintritt (vgl. Libet). Libet vermutete deshalb, dass eine „freie“ Willenshandlung bereits unbewusst eingeleitet wird und  das bewusste Ich erst nachträglich darüber informiert wird. Ist also der freie Wille eine Illusion? Wird die Entscheidung zum Willensakt unbewusst – gewissermassen „aus dem  Bauch heraus“ – getroffen, auch wenn man  meint, selbst frei entschieden zu haben? Oder  treffen unbewusste Vorgänge die „motivierenden“ Vorbereitungen einer Handlung, die  dann aber erst durch den (bewussten) Willensakt – gewissermassen in letzter Sekunde –  vom Zensor Ich „erlaubt“ bzw. in Gang gesetzt wird? Der Züricher Hirnforscher Konrad Akert ist in seiner berühmten Rektoratsrede auf dieses Problem eingegangen. Er folgerte, „dass die ,unbewusste‘ Anfangsphase des Bereitschaftspotenzials sehr wohl  mit den neuronalen Prozessen der Motivation zu tun hat, welche für die Willensbildung  je nach Umständen von entscheidender Bedeutung sein können“. Jedenfalls – so Akert –  sei die Frage der Kausalitätsbeziehungen zwischen Wille und Hirntätigkeit auch weiterhin  offen. Wie wichtig letztlich die (durch Dopamin vermittelte) Motivation durch subkortikale Strukturen für das  Eintreten motorischer Handlungen ist, haben  uns ja gerade die Experimente von Zarevics  und Setler an Ratten gezeigt, die sich  durch Betätigen eines elektrischen Schalthebels selbst stimulieren konnten und dadurch motivierten, den Schalter immer wieder von  neuem zu drücken.  

Welche Rolle spielen nun die Hirnströme  beim Denken? Durch Ableitung von Gehirnströmen ist es möglich, Störungen in Denkprozessen, wie sie z.B. bei Schizophrenen  vorkommen, zu erkennen und zu analysieren. Normalerweise merkt ein geistig gesunder Mensch im Bruchteil einer Sekunde, wenn Teile eines Wortpaares Gegensätzliches  ausdrücken und dementsprechend sinngemäss zusammengehören, etwa „weiss“ und  „schwarz“ oder „süss“ und „sauer“. Wenn aber  auf das Adjektiv „süss“ anstelle von „sauer“  das Wort „Zitrone“ folgt oder auf „schwarz“  das Substantiv „Kreide“, so besteht kein direkter semantischer Zusammenhang. Das Gehirn signalisiert dann nach etwa 400 Millisekunden eine „Fehlermeldung“, erkennbar an  einer etwa über der Mitte des Kopfes ableitbaren elektrischen Potenzialschwankung, einer Zacke im EEG-Muster, die man als N-400  bezeichnet (vgl. Kutas u. Hillyard). Nicht  so bei denkgestörten Schizophrenen: Bei ihnen käme es im eben aufgeführten Fallbeispiel nicht zur Fehlermeldung bzw. nicht zum  Aufreten der N-400-Zacke im ereigniskorrelierten Potenzial (vgl. Spitzer). Dies  ist offenbar als Anzeichen dafür zu werten,  dass bei Schizophrenen semantisches Denken und Assoziationen gestört sind, wofür  es auch noch viele andere Hinweise gibt. Ursächlich für diese Denkstörung („undiszipliniertes“ Denken) dürfte ein lokaler Mangel an  Dopamin im Stirnhirn sein, zumal ein Dopaminmangel in diesem Hirnteil – im Tierversuch – die kognitiven Fähigkeiten stark beeinträchtigt (vgl. Brozoski et al.). Jedenfalls  moduliert die Verabreichung des DopaminAgonisten L-Dopa neuronale Netzwerke des Denkapparates im Sinne einer „Disziplinierung“ und schützt so vor „wilden“ bzw. indirekten semantischen Assoziationen, wie von  Manfred Spitzer und seinen Mitarbeitern gezeigt werden konnte (s. Kischka et al.).  Diese Befunde, aber auch die anderen oben  angeführten Beispiele lassen erkennen, wie  eng bioelektrische Aktivität und Hirnfunktion miteinander verbunden sind.  

Hört die bioelektrische Aktivität auf (NullLinien-EEG), so lautet die Diagnose „Gehirntod“. Nur vitale Hirnzellen sind bioelektrisch  aktiv, nur sie können Hirnströme erzeugen.  Die „Batterie“ für die Hirnströme und für die  elektrischen Nervenimpulse befindet sich in  den Zellmembranen unzähliger Nervenzellen. Hirnströme entstehen ebenso wie Aktionspotenziale bei der Erregung von Neuronen aufgrund von Ionenströmen, die – auf  zellulärer Ebene – letztlich dadurch zustandekommen, dass positiv geladene Natrium- und  Kaliumatome (Na+ - und K+ -Ionen) durch Poren (Ionenkanäle) in den Zellmembranen erregter Neuronen strömen. Hierfür sind jedoch zelluläre Konzentrationsgradienten der  betreffenden Ionen erforderlich, die hauptsächlich durch molekulare Ionen-Pumpen geschaffen werden – ein sehr energieaufwändiger Prozess, der dafür sorgt, dass das Zellinnere mehr K+, dafür aber (etwa 10-mal)  weniger Na+ enthält als die kochsalzreichen  Zwischenzellräume und das Blutplasma. Neurale Erregungsvorgänge „konsumieren“ deshalb sehr viel Energie. 

Hypnosetherapie: Neurobiologische und psychosomatische Wirkungen

Die Hypnosetherapie hat sowohl neurobiologische als auch psychosomatische Wirkungen, die in verschiedenen klinischen Studien und Forschungsprojekten untersucht wurden.

1. Neurobiologische Wirkungen

Hirnaktivität und Hirnströme: Studien zeigen, dass Hypnose die Hirnaktivität verändert, indem sie spezifische Hirnwellenmuster erzeugt. Insbesondere sind Theta-Wellen (4-8 Hz) und Alpha-Wellen (8-12 Hz) während hypnotischer Zustände erhöht, was auf einen Zustand tiefer Entspannung und Fokussierung hinweist.

Neurotransmitter: Die Hypnosetherapie kann die Ausschüttung von Neurotransmittern wie Dopamin beeinflussen, was eine Rolle bei der Motivation und Belohnung spielt. Ein Anstieg von Dopamin kann zu einer Verbesserung der Stimmung und der Motivation führen, was bei der Behandlung von Depressionen und Angstzuständen von Vorteil ist.

Myo-Inositol: In tiefen hypnotischen Zuständen wurde eine erhöhte Ausschüttung von Myo-Inositol festgestellt, einem neurochemischen Modulator, der mit reduzierter Hirnaktivität in Verbindung gebracht wird. Dies könnte die beruhigende Wirkung der Hypnose erklären.

2. Psychosomatische Wirkungen

Schmerzlinderung: Hypnosetherapie hat sich als wirksam bei der Behandlung von akuten und chronischen Schmerzen erwiesen. Patienten berichten oft von einer signifikanten Reduzierung ihrer Schmerzempfindungen nach Hypnosesitzungen.

Stressreduktion: Die Therapie hilft, Stress abzubauen und die Entspannungsreaktion des Körpers zu aktivieren. Dies kann zu einer Verbesserung der allgemeinen psychischen Gesundheit und des Wohlbefindens führen.

Verhaltensänderungen: Hypnose kann dazu beitragen, Verhaltensmuster zu ändern, wie z.B. bei der Raucherentwöhnung oder der Behandlung von Essstörungen. Die Fähigkeit, Suggestionen zu akzeptieren, ermöglicht es Patienten, neue, gesunde Verhaltensweisen zu etablieren.

3. Klinische Anwendungen

Psychische Erkrankungen: Hypnosetherapie wird häufig zur Behandlung von Angststörungen, Depressionen und posttraumatischen Belastungsstörungen eingesetzt. Die Therapie kann helfen, negative Gedankenmuster zu durchbrechen und emotionale Blockaden zu lösen.

Körperliche Beschwerden: Bei psychosomatischen Erkrankungen, bei denen psychische Faktoren körperliche Symptome beeinflussen, kann Hypnosetherapie eine wichtige Rolle spielen. Sie unterstützt die Selbstheilungskräfte des Körpers und fördert die Genesung.

Fazit

Die Hypnosetherapie bietet eine Vielzahl von neurobiologischen und psychosomatischen Vorteilen. Ihre Fähigkeit, die Hirnaktivität zu beeinflussen und positive Veränderungen im Verhalten und Wohlbefinden zu fördern, macht sie zu einer wertvollen therapeutischen Methode in der ganzheitlichen Behandlung.


Rüegg, Johann Caspar. Gehirn, Psyche und Körper: Neurobiologie von Psychosomatik und Psychotherapie.