Obwohl das Gehirn nur etwa zwei Prozent des Körpergewichts ausmacht, beträgt sein Anteil am Energieumsatz des menschlichen Organismus über 20%. Traubenzucker (Glukose), ein Kohlenhydrat, ist der ausschließliche Energielieferant des Gehirns. Deshalb kann ein plötzlicher Abfall des Blutzuckerspiegels unter den Normwert unmittelbar zum Versagen kognitiver Hirnfunktionen, ja sogar zum hypoglykämischen Koma führen, etwa bei einem Diabetiker, der sich versehentlich zu viel Insulin spritzt. Beim Gesunden sorgt ein ausgeklügeltes System hormoneller Regulationsmechanismen dafür, dass der Blutzuckerspiegel (die Glukosekonzentration im Blutplasma) auf ihrem optimalen Wert gehalten wird: Sobald der Blutspiegel über einen bestimmten Grenzwert steigt, greift ein insulinvermittelter Regelmechanismus, welcher die Glukosekonzentration im Blut und im Gewebe wieder auf den „Sollwert“ absenkt und umgekehrt. Dieses Regelsystem steht somit im Dienste der so genannten Homöostase, der Wahrung des vom französischen Physiologen Claude Bernard (1813–1878) so genannten „Milieu intérieur“, welches im Inneren eines Organismus alle Körperzellen umgibt.
Im Sinne der Homöostase (möglichst) konstant gehalten wird jedoch nicht nur der Blutzuckerspiegel, sondern auch die Körpertemperatur sowie die Konzentration von Natriumchlorid und anderen Salzen im Blut und in den übrigen Körperflüssigkeiten, der pHWert (ca. 7,4) und, ganz wichtig, der Gasdruck (Partialdruck) von Kohlendioxid und Sauerstoff, der eine ausreichende Sauerstoffversorgung der Gewebe garantiert (16). Sobald beispielsweise der Partialdruck von Kohlendioxid (pCO2) zu hoch oder der von Sauerstoff (pO2) zu tief ist, sprechen die so genannten Chemosensoren an, die in der Medulla oblongata bzw. in der Gabelung der Halsschlagader gelegen sind. Sie sind Teil eines Regelkreises, der in diesem Fall ohne Zutun unseres Willens die Atmung verstärkt – im Prinzip durchaus vergleichbar dem Regler eines Thermostaten, der automatisch die Heizung einschaltet, wenn der „set point“ unterschritten wird: Durch die erregten Chemosensoren wird das „Atemzentrum“ in der Medulla oblongata verstärkt aktiviert. Infolgedessen wird die Atmung stimuliert und dadurch mehr Sauerstoff eingeatmet und vermehrt Kohlendioxid (CO2) abgeatmet: Der pCO2 des Blutes sinkt, und der pO2 steigt. Die Homöostase ist gewahrt, und wie wir sehen werden, ist dies essenziell für die normale Funktion des Gehirns.
Da die Nervenzellen ihre Energie durch Verwertung – „Verbrennung“ – von Glukose gewinnen, reagiert das Gehirn äußerst empfindlich auf Sauerstoffmangel, etwa bei einer Störung der Hirndurchblutung oder bei einem plötzlichen Abfall des Kabinendruckes bzw. des pO2 während eines Langstreckenfluges: Die kognitiven Fähigkeiten lassen bei Sauerstoffmangel rasch nach; selbst einfaches Zählen gelingt nicht mehr fehlerfrei, es wird einem „schummerig“ und schließlich versagt das Bewusstsein – es sei denn, man greift rechtzeitig zur Sauerstoffmaske, um wieder genügend Sauerstoff zu bekommen. Genau diesem Zweck dient auch die verstärkte Atmung (Hyperventilation) eines Bergsteigers in der verdünnten Luft auf dem Gipfel eines Viertausenders, die durch das Atemzentrum in der Medulla oblongata optimal reguliert wird. Dabei wird allerdings auch vermehrt Kohlensäure abgeatmet, wodurch der pCO2 sinkt (Hypokapnie) und das Blut etwas alkalischer wird. Eine solche Störung des Säuren-Basen-Haushaltes (eine so genannte respiratorische Alkalose) ist übrigens auch bei der psychogenen Hyperventilation zu beobachten, auf die wir später noch zu sprechen kommen.
Hypnose hat sowohl neurobiologische als auch psychosomatische Auswirkungen, die den Gehirnstoffwechsel und die Homöostase beeinflussen können.
Energieverbrauch des Gehirns: Das Gehirn benötigt eine erhebliche Menge an Energie, die hauptsächlich aus Glukose gewonnen wird. Hypnose kann den Stoffwechsel im Gehirn beeinflussen, indem sie die neuronale Aktivität moduliert. Studien zeigen, dass Hypnose die Aktivität bestimmter Hirnregionen verringern oder erhöhen kann, was zu einer optimierten Energieverwendung führt.
Neurotransmitter: Hypnose kann die Freisetzung von Neurotransmittern wie Serotonin und Dopamin beeinflussen, die entscheidend für die Stimmung und das emotionale Wohlbefinden sind. Eine erhöhte Serotoninaktivität kann beispielsweise die Stimmung heben und Angstzustände verringern.
Sauerstoffversorgung: Während der Hypnose kann die Atmung reguliert werden, was die Sauerstoffaufnahme verbessert. Eine verbesserte Sauerstoffversorgung ist entscheidend für die Aufrechterhaltung der kognitiven Funktionen, insbesondere in stressigen Situationen.
Regulation von Blutzucker und Hormonen: Hypnose kann helfen, hormonelle Regulationen zu unterstützen, die für die Homöostase wichtig sind. Beispielsweise kann sie den Blutzuckerspiegel stabilisieren, indem sie Stress reduziert, der oft zu einem Anstieg des Blutzuckerspiegels führt.
Stressreaktion: Hypnose kann die physiologischen Reaktionen auf Stress modulieren, indem sie die Aktivität des sympathischen Nervensystems dämpft. Dies kann zu einer Verringerung von Stresshormonen wie Kortisol führen, die in hohen Konzentrationen negative Auswirkungen auf den Körper haben können.
Chemosensoren und Atemregulation: Hypnose kann die Atemfrequenz und -tiefe beeinflussen, was wiederum die Homöostase des pCO2 und pO2 im Blut reguliert. Eine optimierte Atmung während der Hypnose kann dazu beitragen, die Sauerstoffversorgung zu verbessern und die Homöostase aufrechtzuerhalten.
Selbstregulation: Hypnose fördert die Selbstregulation des Körpers, indem sie Klienten hilft, ihre emotionalen und physischen Reaktionen zu kontrollieren. Dies kann zu einer besseren Bewältigung von Stress und damit zu einer Stabilisierung der Homöostase führen.
Schmerzlinderung: Hypnose wird zunehmend in der Schmerztherapie eingesetzt, da sie helfen kann, die Schmerzbewertung und -wahrnehmung zu verändern. Diese Veränderung kann den Stoffwechsel und die Homöostase positiv beeinflussen, indem sie die körperliche Reaktion auf Schmerzen moduliert.
Hypnose hat das Potenzial, sowohl den Gehirnstoffwechsel als auch die Homöostase durch verschiedene neurobiologische und psychosomatische Mechanismen zu beeinflussen. Die Fähigkeit, Stress zu reduzieren, die Atmung zu regulieren und die neuronale Aktivität zu modulieren, macht Hypnose zu einem wertvollen Werkzeug in der Gesundheitsversorgung und der psychologischen Therapie.
Rüegg, Johann Caspar. Gehirn, Psyche und Körper: Neurobiologie von Psychosomatik und Psychotherapie.